Arbeit mal wieder - diesmal zu teuer
Vielerorts hört man inzwischen den Satz:"Arbeit ist in Deutschland zu teuer". Die FDP sagt es, die INSM sagt es, meine Mitstudenten sagen es und bald sagt es auch dein örtlicher Obdachlosenzeitungsverkäufer. Mit ernster Miene wird einem berichtet, dass bald die Welt untergeht oder vielleicht Harry seinen Kindern sagen muss, dass sie ab jetzt nicht mehr Kinderriegel sondern leider jetzt gepresste Papierriegel essen müssen, oder dass der arme Enkel von Omi Krause demnächst sicher keine Ausbildungsstelle bekommen wird. Weil nämlich zu teuer. Die Arbeit. Was soll das eigentlich bedeuten? Also, genau bedeuten. Ich meine, klar, mir ist das Arbeiten auf jeden Fall zu teuer. Sie wissen schon, Opportunitätskosten. Ich lieg doch lieber faul auf meinem Bett als für die paar Kröten im Kühlhaus neun Stunden lang verfaulte Koteletts umzuetikettieren, wenn ich mir dann davon nichtmal den Phaeton leisten kann. Man könnte meinen, das wird sich bald ändern, weil VW zum Beispiel auch meint, dass Arbeit zu teuer ist. Wenn die also billiger wird, kann ich dann auch endlich den schon lange mal verdienten Phaeton kaufen. Damit ich mich dann nachts auf dem Weg zum Spätkauf nicht erkälte, wenn ich mal wieder neues Bier brauche.
Aber so hat sich VW das nicht gedacht. VW will nämlich gar nicht den Phaeton billiger verkaufen. Nur billiger Produzieren. Deshalb werden auch Mitarbeitern freundliche Angebote gemacht. Zum Beispiel mal etwas weniger Gehalt zu nehmen für die sowieso etwas schlampige Arbeit. Als Gegenleistung verlagert VW dann auch nicht die Produktionsstätten nach Bulgarien. Freundlich. Voller herzlicher, menschlicher Wärme, könnte man sagen. Und der Vorstand kann sich dann von dem Geld (das eben noch die Kinder von Monteurin Hilda für amoralisch-geschmackfreie Hiphop-Klingeltöne auf den Kopf gehauen haben) auf der nächsten Brasilienreise beim vergnüglichen Abend mit den überaus netten Damen den ein oder anderen Lolli kaufen.
Ja, ums Verlegen gehts. Effiziente Allokation des zu investierenden Kapitals. Die Globalisierung hat uns nämlich nicht nur Früchte in lustigen bunten Farben zu Schleuderpreisen beschert, sondern sie hat es auch möglich gemacht, dass der Boss morgen sagt:"Jungs, die Aktionäre mussten heute morgen doch tatsächlich Sekt statt Champagner zum Frühstück trinken. Sekt! Also steht doch mal bitte auf jetzt, die Jungs in der Ukraine setzen sich morgen früh ungern auf vorgewärmte Stühle". Ja, so geht das heute. Nicht nur Paris Hilton führt ein Jet-Set leben, sondern auch der moderne globale Konzern. Und wechselt dabei die Mitarbeiter wie Paris ihre rosa Kleidchen. Und genau deshalb sagen jetzt all diese Leute: Arbeit ist in Deutschland zu teuer, weil: woanders ist sie billiger. Und die Logik sagt: billiger machen, die Arbeit hier, weil: sonst gehen die Onkels mit den großen Geldsäcken weg. Und die gehen wirklich nicht weg, wenn die Arbeit billiger wird, diese Altruisten. Erstmal.
Was meint denn das jetzt für den einzelnen rechtsschaffenden und überaus fleißigen Bürger wie dich und mich (hahaha)? Mal so konkret: billigere Arbeit, da meinen die, wir sollen weniger bekommen für die Arbeit! Echt jetzt mal. Aber das bekommt natürlich keiner so gesagt, weil: man spart ja über Umwege. Man sagt: "hier, die Nebenkosten. Viel zu hoch! Kuck mal, Arbeitslosenversicherung. Das ist doch das, was bei dir auf dem Gehaltsscheck immer für Florida-Rolf abgebucht wird". Kann doch nicht wahr sein. Diese anderen immer! Ja, schon ist man mit seinen Gedanken an einem ganz anderen Ort. Kann sich schön echauffieren und bekommt gar nicht mehr mit, dass da an den eigenen Sicherheiten gekürzt wird. Denn man bekommt ja nur die Fälle der "Schmarotzer" um die Ohren gehauen, die keinen Job wollen, weil sie ja betrügen können. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit? Existiert immer weniger im Bewusstsein der Leute. "Wer wirklich will, der findet auch Arbeit". Ja, Hugo hat nach dem Verlust seiner Call-In-Pannespiel-Show auf Kabel1 auch nicht angefangen, sich auf die faule Haut zu legen. Er arbeitet nach unbestätigten Augenzeugenberichten inzwischen als Fachkraft für Fleischverarbeitung und schlachtet kleine Lämmer. Obwohl er doch Vegetarier ist, munkelt man. Das ist Engagement.
Also: den Staudamm aufmachen und der Kapitalstrom wird das Land mit frischem Geld überschwemmen. Weg mit deinen Leistungen, halt die Fresse, arbeite und konsumiere. Für mehr bist du nicht geboren worden. Denn deine Rechte (jaja, das sind Rechte! Deine!) stehen dem maximalen Gewinn entgegen. Oder hab ich das alles doch irgendwie jedesmal nur falsch verstanden, wenn jemand gesagt hat "Arbeit ist in Deutschland zu teuer"?
schönes miniessay. die frage ist halt wo man den hebel ansetzen sollte, um die zustände zu beeinflußen. institutionalisierte bemühungen in dem bereich gibt es ja nun schon seit mehr als einem halben jahrzent.
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Naja, die verzapfen auch eine Menge Blödsinn. Ich hab mal an der Uni eine Globalisierungskritische Gruppe mitbegründet, die dann relativ schnell zu einer Attac-Gruppe gekippt ist. Lag hauptsächlich daran, dass die meisten da halt was machen wollten. Das ewige Reden und Diskutieren war ihnen irgendwie zu anstrengend. Den Linksruck-Fuzzis die die Bewegung unterwandern wollten, war das eh zu anstrengend, die brauchten ja nur Masse, die ihren Plakaten hinterhereiert. Und irgendwie wurde es da allen zu anstrengend, wenn man Grundsätzliches klären wollte. Und noch so viel mehr und so viele inhaltliche Differenzen, kurz: nicht mein Verein.
Vor allem fand ich total bizarr, das da tatsächlich fast alle dieses Bild vom bösen Kapitalismus personifiziert in Gestalt der USA hatten. Etwas anstrengend undifferenziert, diese Kritik an der Verkürzten Kapitalismuskritik ist nicht aus dem nichts erwachsen.
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Dass Arbeit ein Jungsding ist, halte ich für ein Gerücht.
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Ich halte das nichtmal für ein Gerücht. Ausbeutung braucht keine Geschlechter. Aber sie dürfen sich auch gerne genauer erklären, ich habe sie nämlich nicht verstanden.
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kommentare
Ich glaube, wir haben das jetzt beide gemacht.
gHack, 22.06.21, 11:33
20jahre.antville.org
tobi, 22.06.21, 09:35
Ja klar!
Mama, 22.06.21, 08:10
danke für den schönen text. darf ich den auf 20jahre verlinken?
tobi, 22.06.21, 06:28
Ist das sowas wie i-mode?
Mama, 29.05.14, 00:00
Internet kann man ja neuerdings mitnehmen. Dass WAP sich doch durchsetzen würde...?!
fernsehratgeber, 20.05.14, 21:43
musik