Medienrealität
Gestern, Heute-Journal: 15 Minuten - damit die halbe Sendung lang - wird über einen Hobbyflieger berichtet, der vorgestern über ein paar Bankgebäuden rumflog. Was sonst passierte? Hmm. Was wichtiges kann es nicht gewesen sein, denn es war schliesslich nicht in den ersten 15 Minuten des Heute-Journal.
Sonntagnacht, Nachtstudio. Peter Glotz, Klaudia Brunst und Peter Paul Kubitz diskutierten übers Fernsehen. Ach ja, Christiane zu Salm war auch da und durfte so tun als wenn Neun Live auch ein echter Fernsehsender wäre. Ausserdem sagte sie dann irgendwann, dass das Fernsehen durchaus manipulativ berichten würde, wobei eigentlich keiner wiedersprach. Gleich am Anfang hatten sie sich alle geeinigt, dass die Biografie von jedem von uns entscheidend durch Fernsehbilder mitgeprägt wird. Ja. Von Konditionierung war zwar nicht die rede, aber von bestimmten Bildern, die durch die ständige Wiederholung ins Gehirn gebrannt werden. Von Salm war der Ansicht, das Fernsehen schaffe Realität. Das fand ich sehr interessant, denn wie kann das Fernsehen Realität schaffen? Durch Manipulation der Bilder? Durch geschickte Auswahl selbiger?
Der entscheidende Schritt, dachte ich da, ist doch der der Auswahl, über was denn überhaupt berichtet wird. Wozu manipulieren, wenn man auch einfach nur über das Berichten kann, was einem gerade in den Kram passt. Das Fernsehen schafft also keine Realität, es grenzt nur den Blick auf diese ein und setzt noch ein paar Filter dazwischen. Passend dazu kam heute ein Artikel bei Telepolis, mit dem noch passenderen Titel "Die Welt ist, was die Medien über sie berichten". Darin geht es um den Tyndall-Bericht und die "Top 10 Most Underreportet Humanitarian Stories of 2002". Der Tyndall-Bericht zeigt auf, was zu welchen Teilen in den drei größten US-Sendern in den Primetime-Nachrichten zu sehen war. Naja, was wohl, Nahost, Irak, 11.9. usw. 60 Prozent der Hauptnachrichtenzeit auf die 20 Topstories. Klar, dass da der Eindruck entsteht, es gäbe nichts wichtigeres zu tun. Die andere Seite der Medallie beleuchten die "Top 10 Most Underreportet Humanitarian Stories of 2002", erstellt von den Ärzten ohne Grenzen. Die tragischsten "humanitären Katastrophen", von denen man nichts gehört hat.
- Stell dir vor es ist Krieg, aber es ist gar nicht Krieg, weil niemand darüber berichtet. -
War nach dem Tyndall-Bericht die britische Königsfamilie im Jahr 2002 26 Minuten lang Thema der Nachrichtensendungen, so haben 8 der "Top 10"-Liste der Ärzte ohne Grenzen nur 25 Minuten Aufmerksamkeit erhalten. Wer will auch schon wissen, das im Kongo Krieg ist, wenn doch gleichzeitig die wichtigen Rohstoffe für dein Handy dort her kommen.
Die Konsequenzen? Gegenhalten. Berichten. Sich erinnern. Fragen stellen. Man muss es doch irgenwie schaffen, dass die Medien um Bestimmte Themen einfach nicht herumkommen. Wie? Keine Ahnung. Aber ich denke nach.
Re: Medienrealität
sehr witzig der gedanke, man könne realität manipulieren. soll mir mal einer zeigen, die allgemein wahre realität. ist schon dolle, wenn sich die sogenannten medienexperten ihre banalitäten und fälschlichkeiten an den kopf werfen. im sinne der vollständigkeit darf ich an das amerikanische Project Censored und an das deutsche Pendant, die Initiative Nachrichtenaufklärung erinnern, die sich um die vernachlässigten aber wichtigen themen kümmern. auch ein widerspruch in sich: über wirklich vernachlässigte themen wird ja GAR NICHT berichtet, aber nun gut, ein anfang.
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Re: Medienrealität
achja, und ich darf in diesem zusammenhang natürlich den ganz wunderbaren standard-sammelband "die wirklichkeit der medien" von klaus merten (münster) empfehlen. sind auch einige interessante beiträge von siegener autoren drin. :-)
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kommentare
Ich glaube, wir haben das jetzt beide gemacht.
gHack, 22.06.21, 11:33
20jahre.antville.org
tobi, 22.06.21, 09:35
Ja klar!
Mama, 22.06.21, 08:10
danke für den schönen text. darf ich den auf 20jahre verlinken?
tobi, 22.06.21, 06:28
Ist das sowas wie i-mode?
Mama, 29.05.14, 00:00
Internet kann man ja neuerdings mitnehmen. Dass WAP sich doch durchsetzen würde...?!
fernsehratgeber, 20.05.14, 21:43
musik