Der Interview-Unfug

An sich handelt es sich bei den junk journalists um respektable Allerweltsmenschen. Vor hundert Jahren wären sie Pferdekutscher oder Näherin geworden. Doch sie leben heute und haben daher Abitur und fühlen sich somit für normale Tätigkeiten unumkehrbar überqualifiziert. Sie könnten so wunderbar Kartoffeln schälen, aber sie wollen urteilen und durchschauen, Menschen von vermeintlichen Podesten stoßen, nachweisen, daß alle nur mit Wasser kochen. Unter ihrer Elendigkeit, ihrem Wissen, daß sie letztendlich doch nur das Altpapier von übermorgen produzieren, heimlich leidend, zerren sie alles, was evtl. ein wenig herausragt, auf ihre eigene Durchschnittlichkeit herunter. Warum sollte man nun Menschen, die in ihrem Leben nie einen eigenen Gedanken oder auch nur eine eigene Idee gehabt haben, die Hitze für schönes Wetter, Geigen für Kitsch, Arbeit am Detail für "Gefrickel" und Nina Hagenn für schrill halten, warum sollte man denen zur Verfügung stehen, ihnen ihre unausrottbaren Lieblingsfragen beantworten: Wie kommt man nur auf so etwas? und Kann man davon leben? und Ist nicht jeder Mensch ein bißchen eitel? [...] Der Standard ist heute kenntnislose Bissigkeit. Da im Gespräch mit echten Berühmtheiten das erwünschte Pampigkeits-Level nicht immer ohne Schaden - Abbruch des Gesprächs - zu erzielen ist, werden die Fragen zur Drucklegung im nachhinein hochfrisiert, was zu den unanständigsten Tricks und Sitten des Journalismus zählt. Ich erinnere mich an ein Interview, das eine Autorin des Berliner "tip"-Magazins mit David Bowie führte. Ihre erste Frage war im Heft so wiedergegeben: "Ihre Achziger-Jahre-Alben waren ja alle grauenhaft. Wie kommt's, daß sie plötzlich wieder etwas halbwegs Hörbares produziert haben?" Sonnenklar unter Inhabern von Menschenkenntnis ist: Nie im Leben hat sie ihm diese Frage gestellt! Keine kleine Stadtmagazinschreiberin nähert sich einem in seiner Hotelsuite Audienz haltenden Weltstar auf eine so herablassende Art. Sie wird vermutlich mit Schüchternheit und ihren Englischkenntnissen gerungen haben: "Ihr neues Album hat ja viel bessere Kritiken bekommen als ihre letzten. Durchleben Sie gerade eine besonders kreative Phase?" Hinterher wurde die Frage dem allgemeinen selbstbewußt tönenden Kläffsound angepaßt, inzwischen eine gängige Praxis, nachzuprüfen allwöchentlich im "Spiegel".

[aus Max Goldt - Der Krapfen auf dem Sims]  

sach selber was   von Mama