Warum schreckt die Welt nur bei israelischen Bomben auf? Womöglich schockieren die Toten des Libanon so unvergleichlich viel mehr als die Verhungernden in Darfur und die Ruinen in Tschetschenien, weil sie als Fanale einer surrealistischen Geopolitik wahrgenommen werden.

Wer die Aktualität in Gaza oder Kana verfolgt, zählt die Toten nicht einfach als Tote schlechter Tage - die Särge dieser Opfer umgibt der Nimbus einer fatalen Verheißung, an den hunderttausende Kadaver aus Afrika und dem Kaukasus einfach nicht heranreichen. Identifizieren nicht Legionen von Experten seit Jahrzehnten den Nahostkonflikt als Zentrum des Weltchaos und Schlüssel zu seiner Befriedung? Welcher Diplomat wiederholt nicht bis zum Überdruss die Formel von den Höllenpforten zu künftigen Kriegen und den Eingangstoren zur Weltharmonie, die sämtlich in Jerusalem stehen?

Ein immer gleiches Drehbuch geistert durch die Hirne des 21. Jahrhunderts. Es behauptet, dass alles sich an den Ufern des Jordan entscheidet. In seiner harten Version liest es sich so: Solange sich vier Millionen Israelis und genauso viele Palästinenser gegenüberstehen, sind 300 Millionen Araber und anderthalb Milliarden Muslime dazu verdammt, in Hass, Blut und Verzweiflung zu leben. Und die rosige Fassung: Wir brauchen nur einen Frieden in Jerusalem, schon erlöschen die Feuer in Teheran, Karachi, Khartoum und Bagdad und weichen universeller Eintracht.

derStandard: Das Jerusalem-Syndrom

 
sach selber was   von Mama
 
hun, 15. August 2006 um 21:06:11 MESZ

so einfach ist es natürlich nicht. aber so lange das thema nicht gelöst ist, wird es immer ein unruhepotential haben, weil sich die araber gern darauf berufen. die ganze gegend fühlt sich erniedrigt.

was will man machen, welcher tote ist mehr wert. jetzt ist der unterschied, daß da ein vermögender westlicher staat hingeht und den schwächeren kaputt bombt. und der westen eine gewisse ehrfurcht hat, wegen früher.

im irak sterben an straßenterror jeden tag 100 menschen - ein leben ist nicht viel wert. im kongo sterben jeden tag 1000 menschen - keine meldung wert.

aber auch im libanon ist ein kind nichts wert, welches sich weder sein land noch seine eltern ausgesucht hat. 1/3 drittel kolateralschäden: kinder.

über welche ungerechtigkeit berichtet man. welche ungerechtigkeiten werden vergessen. können wir allen toten die genügende aufmerksamkeit zuteil kommen lassen... ?

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Mama, 15. August 2006 um 22:12:03 MESZ

Man kann sich sicherlich nicht jeder Ungerechtigkeit mit gleicher Intensität widmen. Aber diese Tatsache, dass Israel sehr viel eher kritisiert wird als andere Staaten, ist auffällig. Ich will auf gar keinen Fall sagen, dass die Opfer der israelischen Militärschläge einfach zu rechtfertigen wären. Das militärische Eingreifen kann ich jedoch verstehen. Die allerorts beklagte Unverhältnismäßigkeit lässt offen, was eine verhältnismäßige Reaktion gewesen wäre. Sicherlich wäre es angemessen gewesen, wenn das libanesische Militär gegen die Hisbollah-Milizen vorgegangen wäre. Da sie dazu nicht fähig oder willens waren, trotz UN-Resolution und andauernder Aufforderungen, blieb Israel wenig Handlungsspielraum. Wie schaltet man Raketenabschuss aus Wohngebieten in einem angrenzenden Land aus? Ich kann mir leider keine andere Lösung vorstellen als dieses Land anzugreifen, wenn in dem entsprechenden Land keine erkennbaren Maßnahmen ergriffen werden. Sogar im Gegenteil: nicht geringe Teile der Bevölkerung schlucken den Mythos vom Widerstand gegen die israelische Besatzungsmacht, die ja in Wirklichkeit schon lange das Land verlassen hatte.

In Einzelfällen kann man und sollte man nun wieder und wieder die Verhältnismäßigkeit prüfen. Vor diesem kontroversen Hintergrund besteht die Notwendigkeit, die Kritik an der Tötung von Zivilisten mit möglichen alternativen Verhaltensweisen zu untermauern. Selbstverständlich ist jedes zivile Opfer ein Opfer zu viel, das auch mir weh tut. Aber wie zieht man die Grenze zwischen zivilen Opfern und Kriegsgegnern, wenn der Vater morgens seinen Kindern Frühstück macht, um danach Raketen nach Israel zu schießen. Und dort liegt nun die Wurzel des Problems: die hauptsächlich leidtragenden in diesem Konflikt sind natürlich die Menschen der libanesischen Bevölkerung, aber aus ihrer Mitte kommt auch der Terror, der diese Schläge auch veranlasst. Der Unterschied zu anderen Konflikten ist nun jedoch, dass diese Seite der Medallie weitgehend ausgeblendet wird bei der Kritik und jedes Opfer doppelt ungerecht erscheint. Damit will ich nicht andeuten, dass es nicht ungerecht wäre, wenn ein Kind stirbt. Aber erstaunlich ist schon, dass bei jedem Militärschlag Israels sehr viele Menschen aufhorchen und Israel zur Mäßigung ermahnen, während dies in anderen Konflikten nicht geschieht. Da liegt die Vermutung nahe, dass dies eben keine Sorge und Trauer um die Opfer ist, die ich sicherlich niemandem nehmen will, sondern die bewussten und auch unbewussten Motive andere sein könnten.

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kuchenbruch, 17. August 2006 um 14:59:29 MESZ

Das ist ein ganz guter Text zur Frage warum der Medien-Focus so auf den Nahen Osten gerichetet ist, allerdings eher aus einer US-amerikanischen Perspektive.

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