Zeit: Die Bio-Schwemme. Interessante Entwicklung, die sich bei den Bio-Lebensmitteln vollzieht. Ich persönlich begrüße das ja sehr, dass immer mehr Leute Bioprodukte kaufen, wobei es mir mehr um die Artgerechte Tierhaltung geht als um den Verzicht auf Pestizide beim Obst- und Gemüseanbau (was natürlich auch eine gute Sache ist). Aber über was für einen Markt reden wir eigentlich?

Im vergangenen Jahr stieg der Verkauf von Biolebensmitteln um rund 15 Prozent, für dieses Jahr werden sogar 20 Prozent vorausgesagt. Die Anbaufläche hingegen wächst hierzulande nur um jährlich drei bis fünf Prozent. Deutsche Biobauern allein können den immensen Bedarf der Discounter nicht decken. Als Lidl Ende April ins Ökosegment einstieg, verkündete das Unternehmen, sein Sortiment demnächst zu einem Fünftel mit Bioware bestücken zu wollen. Zum Vergleich: Im deutschen Durchschnitt beträgt die Quote gerade einmal 3,2 Prozent. In der Branche heißt es, Lidl suche eine Menge Biomilch, die bis zu 40 Prozent der gesamten Inlandsproduktion ausmachen würde.

Das hat zur Folge, dass einerseits der Bedarf im Ausland gedeckt werden muss, andererseits die Höfe gezwungen sind zu wachsen. Beides Punkte die nicht dem klassischen Verständnis von Ökologischer Landwirtschaft entsprechen, die auf naturbezogene Produktion setzt und möglichst auf lokalen Absatzmärkten verkauft. Aber:

»Es gibt gute Argumente für regionale Lebensmittel, aber die Transportemissionen sind es nicht«, sagt Ulrike Eberle vom Freiburger Öko-Institut. In der Energiebilanz von Zucchini macht der Transport nur etwa ein Zehntel der ökologischen Kosten aus, hat die Wissenschaftlerin errechnet. Wer das Gemüse daheim in einen modernen energiesparenden Kühlschrank lege, erklärt sie, der nutze der Umwelt mehr, als der Transport zuvor geschadet habe. Auch größere Höfe sind kein Problem, obwohl sie nicht dem Klischee des Ökokleinbauern entsprechen. »Mit großen Maschinen gibt es weniger Energieverbrauch«, sagt Alexander Hissting von Greenpeace.

Bleibt der Zwang der Ökobauern, mehr zu produzieren, oder sich zu Verkaufskartellen zusammen zu schließen, um nicht von der Discounter-Marktmacht erdrückt zu werden:

Wegen des knappen Angebots können die Discounter bislang die Preise, die sie den Produzenten zahlen, noch nicht drücken. »Aber alle haben Angst vor dem Moment, wenn das Angebot gewachsen ist und die Discounter das Sagen haben«, weiß Thomas Dosch vom Anbauverband Bioland. Den Landwirten bleibt deshalb vermutlich nur eines: selbst zu wachsen.

Andererseits vielleicht auch interessant, diesen Artikel über die Entwicklung des US-Biomarkts gegenzulesen. Da hört sich das etwas anders an.

 
sach selber was   von Mama
 
thgroh, 8. September 2006 um 14:04:33 MESZ

danke für den hinweis!

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ohne, 9. September 2006 um 10:21:58 MESZ

ich halte bio für paradox. es funktioniert nicht, bzw. besonders im kritischen punkt (der artgerechten haltung) ist das konzept nur bedingt massentauglich. die bevölkerung ist dank kontinuierlich verbesserter, konventioneller landwirtschaft in den vergangenen 200 Jahren so angewachsen, dass man diese menge an menschen mit der "traditionellen" biolandwirtschaft nicht ernähren kann - schon gar nicht preisgünstig. abgesehen davon, dass ich mir wünschen würde, dass ernährung nicht immer preisgünstig sein DARF, müssen - und da bin ich über den artikel sehr dankbar - neue konzepte des massenanbaus her.

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Mama, 11. September 2006 um 16:42:04 MESZ

Es wäre ja schon ein Fortschritt, wenn die konventionelle Haltung sich etwas in Richtung Bio-Haltung bewegen würde. Z.B. ist mir natürlich lieber, wenn die Leute Neuland-Fleisch statt der billigen Horrorware kaufen, auch wenn das kein offizielles Biosiegel trägt. Natürlich lässt sich nicht von jetzt auf gleich der Nahrungsbedarf mit Biolebensmitteln stillen, aber durch die Discounter-Bioprodukte ist die persönliche Wahl der Nahrungsmittel nicht mehr ganz so stark durch den Geldbeutel vorausbestimmt.

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Irene, 11. September 2006 um 18:11:13 MESZ

wobei es mir mehr um Artgerechte Tierhaltung geht als um den Verzicht auf Pestizide beim Obst- und Gemüseanbau (was natürlich auch eine gute Sache ist).

Der Pestizideinsatz hat auch Auswirkungen auf das Leben von Tieren.

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Irene, 11. September 2006 um 18:41:01 MESZ

These: Die weit verbreitete Haltung, dass Tierschutz wichtiger ist als ökologische Fragen, schützt eine Illusion. Vielleicht geht es um Autonomie versus Abhängigkeit.

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Mama, 11. September 2006 um 21:20:32 MESZ

Ja, es könnte sein, dass ich mir mit der Forderung nach mehr Tierschutz nur ein reines Gewissen erkaufen will, während ich Gemüse kaufe, dass andererseits Tierleben kostet. Bei mir ist es aber wohl eher eine selektive Wahrnehmung oder auch schlicht unwissen. Inzwischen kaufe ich Demeter-Mehl, weil mir erklärt wurde, dass bei der Ernte zum Beispiel weniger Hasen sterben. Ob ich dann einen Euro für ein Kilo Mehl zahle oder 20-30 Cent ist dann (bei meinem Mehlverbrauch!) keine Frage mehr, da kaufe ich natürlich das Demeter-Mehl. Geht es dann aber zum Bäcker, sieht es wieder anders aus, weil da einfach das Angebot ein anderes ist.

Bei mir speist sich die Haltung aber hauptsächlich aus dem Grundsatz, dass ich nichts essen möchte, von dem ich vermute, dass es ein Bewußtsein hat. So gesehen könnte man sagen, dass mir Tierschutz wichtiger als ökologische Fragen ist, wobei sich das ja nicht ausschließt.

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