Wenn ich über mich selbst spreche, gerate ich leicht in Verwirrung. Immer wieder stolpere ich über das Paradox der uralten Frage „Wer bin ich?“. Natürlich gibt es keinen anderen Menschen auf der Welt, der über so viele Informationen über mich verfügt wie ich, der mehr über mich erzählen könnte als ich. Aber wenn ich von mir erzähle, kommt es unweigerlich dazu, dass ich als Erzähler durch verschiedene Faktoren – meine Wertvorstellungen, meine emotionalen Eigenarten und meine Perspektive als Beobachter – mein erzähltes Ich beeinflusse und beschneide. In welchem Maß entspricht mein von mir erzähltes Ich überhaupt noch den objektiven Fakten? Diese Frage hat mich schon immer beschäftigt. Die meisten Menschen scheint sie jedoch nicht zu belasten. Sooft sich die Gelegenheit bietet, geben sie bereitwillig und mit Erstaunlicher Offenheit über die eigene Person Auskunft. Häufig hört man Sätze wie:“Ich bin jemand, der so ehrlich ist, dass es schon an Dummheit grenzt“, oder:“Als sensibler Mensch habe ich es im Leben nicht leicht“, oder:“Ich bin sehr empfänglich für die Stimmungen anderer“ und so fort. Doch dann kann man beobachten, wie der „sensible Mensch“ andere unentwegt und ohne ersichtlichen Grund verletzt. Oder der Ehrliche dreist auf seinen Vorteil bedacht ist und die für die „Stimmung anderer Empfänglichen“ den albernsten Schmeicheleien erliegen. Wie gut kennen wir uns selbst? Je mehr ich über diese Frage nachdenke, desto größer werden meine Vorbehalte, über mich selbst zu schreiben. Dagegen drängt es mich, etwas mehr oder weniger Objektives über die Wirklichkeit dessen zu erfahren, was außerhalb von mir existiert. Ich möchte begreifen, welchen Einfluss bestimmte Dinge und Menschen auf mein Inneres nehmen, wie sie integrieren und mich dennoch im Gleichgewicht halten kann.

Haruki Murakami – Sputnik Sweetheart

[Weil es neulich Thema war: Das Buch wurde direkt aus dem japanischen ins deutsche übersetzt]

 
sach selber was   von Mama
 
sma, 22. August 2004 um 20:46:40 MESZ

Habe heute angefangen, »Wilde Schafsjagd« ein zweites Mal zu lesen. Auch so ein Phänomen: Wie die Worte in seinen Büchern mit jedem neuen lesen auf eine andere Art und Weise zu leuchten scheinen. Wie es nie die gleichen Worte sind, die dann leuchten.

Schön, dass immer wieder irgendjemand aus den Büchern zitiert. Siehe auch hier.

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Peha, 23. August 2004 um 13:09:31 MESZ

Viele, viele Links zu Murakami-Kurzgeschichten und -Essays

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Mama, 23. August 2004 um 15:50:21 MESZ

Danke!

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der, 23. August 2004 um 15:55:17 MESZ

Murakami, ich weiss nicht. Komische Sache. Habe ich früher gerne gelesen, aber dann irgendwann mal zu viel, Zack, seitdem nicht die geringste Lust, auch nur ein Wort davon je wieder zu sehen. Der Batida-de-Coco/Hesse-Effekt. Für ähnliche Seltsamkeit, nur besser, empfehle ich übrigens Kawabata Yasunari, house of the sleeping beauties (kenne deutschen Titel nicht, müsste es aber geben). Sehr sehr grossartig.

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Mama, 23. August 2004 um 23:54:22 MESZ

Habe jetzt einige gelesen und bin noch sehr positiv gestimmt. Allerdings stellt sich eine gewisse Ermüdung ein was bestimmte immer wiederkehrende Motive angeht.

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der, 24. August 2004 um 01:12:23 MESZ

Sehr cool fand ich ja, dass er irgendein Buch gleich zweimal geschrieben hat (trau mich jetzt nicht, nachzuschauen, wg. möglichem Liköreffekt s.o.), also die komplette Story nochmal verbraten hat (irgendwas mit Hotels und Delphinen und Schafen). Hat gut zur Atmosphäre des Buchs gepasst, der langsame Prozess, zu realisieren, dass das nicht nur sehr ähnlich ist, und auch nicht nur geträumt, sondern tatsächlich nochmal geschrieben ist.

Und gab es da nicht auch die Geschichte von dem Irren, der sein Leben lang das gleiche Buch geschrieben hat, immer neu?

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