Alle aus dem Lateinischen hervorgegangenen Sprachen bilden das Wort Mitgefühl aus der Vorsilbe com- und dem Wort, das ursprünglich "Leiden" bedeutete: passio. Andere Sprachen, so das Tschechische, das Polnische und das Schwedische, drücken diesen Begriff durch ein Substantiv aus, das aus der Vorsilbe Mit- und dem Wort "Gefühl" besteht (tschechisch sou-cit, polnisch wspol-uczucie, schwedisch medkänsla). In den aus dem Lateinischen hervorgegangen Sprachen bedeutet das Wort compassio: wir können nicht herzlos den Leiden eines anderen zuschauen; oder: wir nehmen Anteil am Leid des anderen. Aus einem anderen Wort mit ungefähr derselben Bedeutung (französisch pité, englisch pity, italienisch pietà usw.) schwingt sogar unterschwellig so etwas wie Nachsicht dem Leidenden gegenüber mit:"Avoir de la pitié pour une femme" heißt, dass wir besser dran sind als diese Frau, uns zu ihr hinabneigen, uns herablassen. Aus diesem Grund erweckt das Wort Mitleid Misstrauen: es bezeichnet ein schlechtes Gefühl, das als zweitrangig empfunden wird und nicht viel mit Liebe zu tun hat. Jemanden aus Mitleid zu lieben heißt, ihn nicht wirklich zu lieben. In den Sprachen, die das Wort nicht aus der Wurzel "Leiden", sondern aus dem Substantiv "Gefühl" bilden, wird es ungefähr in demselben Sinn gebraucht; man kann aber nicht behaupten, es bezeichne ein zweitrangiges, schlechtes Gefühl. Die geheime Macht seiner Etymologie lässt das Wort in einem anderen Licht erscheinen, gibt ihm eine umfassendere Bedeutung: Mit-Gefühl haben bedeutet, das Unglück des anderen mitzuerleben, genausogut aber jedes andere Gefühl mitempfinden zu können: Freude, Angst, Glück und Schmerz. Dieses Mitgefühl (im Sinne von soucit, wspoluczucie, medkänsla) bezeichnet also den höchsten Grad der gefühlsmäßigen Vorstellungskraft, die Kunst der Gefühlstelepathie; in der Hierarchie der Gefühle ist es das höchste aller Gefühle.

Aus "Milan Kundera – Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins"

 
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Der Interview-Unfug

An sich handelt es sich bei den junk journalists um respektable Allerweltsmenschen. Vor hundert Jahren wären sie Pferdekutscher oder Näherin geworden. Doch sie leben heute und haben daher Abitur und fühlen sich somit für normale Tätigkeiten unumkehrbar überqualifiziert. Sie könnten so wunderbar Kartoffeln schälen, aber sie wollen urteilen und durchschauen, Menschen von vermeintlichen Podesten stoßen, nachweisen, daß alle nur mit Wasser kochen. Unter ihrer Elendigkeit, ihrem Wissen, daß sie letztendlich doch nur das Altpapier von übermorgen produzieren, heimlich leidend, zerren sie alles, was evtl. ein wenig herausragt, auf ihre eigene Durchschnittlichkeit herunter. Warum sollte man nun Menschen, die in ihrem Leben nie einen eigenen Gedanken oder auch nur eine eigene Idee gehabt haben, die Hitze für schönes Wetter, Geigen für Kitsch, Arbeit am Detail für "Gefrickel" und Nina Hagenn für schrill halten, warum sollte man denen zur Verfügung stehen, ihnen ihre unausrottbaren Lieblingsfragen beantworten: Wie kommt man nur auf so etwas? und Kann man davon leben? und Ist nicht jeder Mensch ein bißchen eitel? [...] Der Standard ist heute kenntnislose Bissigkeit. Da im Gespräch mit echten Berühmtheiten das erwünschte Pampigkeits-Level nicht immer ohne Schaden - Abbruch des Gesprächs - zu erzielen ist, werden die Fragen zur Drucklegung im nachhinein hochfrisiert, was zu den unanständigsten Tricks und Sitten des Journalismus zählt. Ich erinnere mich an ein Interview, das eine Autorin des Berliner "tip"-Magazins mit David Bowie führte. Ihre erste Frage war im Heft so wiedergegeben: "Ihre Achziger-Jahre-Alben waren ja alle grauenhaft. Wie kommt's, daß sie plötzlich wieder etwas halbwegs Hörbares produziert haben?" Sonnenklar unter Inhabern von Menschenkenntnis ist: Nie im Leben hat sie ihm diese Frage gestellt! Keine kleine Stadtmagazinschreiberin nähert sich einem in seiner Hotelsuite Audienz haltenden Weltstar auf eine so herablassende Art. Sie wird vermutlich mit Schüchternheit und ihren Englischkenntnissen gerungen haben: "Ihr neues Album hat ja viel bessere Kritiken bekommen als ihre letzten. Durchleben Sie gerade eine besonders kreative Phase?" Hinterher wurde die Frage dem allgemeinen selbstbewußt tönenden Kläffsound angepaßt, inzwischen eine gängige Praxis, nachzuprüfen allwöchentlich im "Spiegel".

[aus Max Goldt - Der Krapfen auf dem Sims]  

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Freihandelszonen auf zwei Beinen (MH)

So hab ich mir das vorgestellt, mit dem Adorno.

 
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Sei dabei oder sei ein faules Ei

Adorno auf Antville. Minima Moralia Lesegruppe. Anmelden hier.

 
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